GEGENREDE

Datum: 14.8.2008

Sehr geehrter Herr ...,

vielen Dank für Ihre Email an Christine Scheel und Elisabeth Scharfenberg. Sie fragen nach dem Grundverständnis der Grünen zur Marktwirtschaft und deren sozialer und ökologischer Ausrichtung. Dies sind Probleme, mit denen sich die Grünen gerade vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung und der damit verbundenen Klimakatastrophe verstärkt beschäftigt haben, denn diese Entwicklungen zeigen die Grenzen eines weltweiten Wirtschaftsmodells, das sich nicht um die natürlichen Ressourcen und die Lebensbedingungen künftiger Generationen schert. Das Konzept "Grüne Marktwirtschaft",das ich Ihnen in Grundzügen kurz darstellen möchte, orientiert sich an der existierenden sozialen Marktwirtschaft. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass wir es nicht als unsere Aufgabe ansehen, dies in ein theoretisches Modell zu übersetzen.

Viele der anstehenden Probleme und Herausforderungen können vom Markt allein nicht gelöst werden. Sich selbst überlassen sind Märkte sowohl ökologisch als auch in sozialer Hinsicht blind. Das ist der Grund des offensichtlichen Scheiterns der neoliberalen Ideologie und Praxis. Deswegen stehen wir vor einer Reihe von Transformationen, die auch das Verhältnis von Markt und Ordnung, von Wirtschaft und staatlicher Politik betreffen. Es ist allerdings offenkundig, dass Wirtschaft und Staat ohne funktionierende Märkte keine Dynamik entfalten können, die notwendig ist, um in der globalisierten Ökonomie bestehen zu können. Und wenn der Staat soziale Gerechtigkeit zu bürokratisch organisiert, besteht die Gefahr, dass wir bei einem teuren, aber auch entmündigenden Sozialstaat landen.

Märkte und Wettbewerb sind keine autonomen politischen Ziele. Sie sind allerdings hocheffiziente Suchverfahren für gute Lösungen unter bestimmten Rahmenbedingungen. Der Staat hat die Aufgabe, den Rahmen so zu gestalten, dass auf der Basis einer klaren Werteorientierung ein zum Wettbewerb befähigter Markt die gewünschten Ziele effektiv erreichen kann. Es ist die Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass Marktversagen verhindert wird. Die unsichtbare Hand des Marktes, die in Adam Smiths Metaphorik dafür sorgt, dass sich Eigeninteresse und Allgemeininteresse decken, kann nur funktionieren, wenn staatliche Ordnungssysteme zur Regulierung von Märkten bestehen. Die unsichtbare Hand wird dann und nur dann grün, wenn die Rahmenbedingungen einer Marktwirtschaft so gewählt sind, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen. Nur dann geraten UmweltverschwenderInnen durch den Markt in Nachteile, während umweltkonformes Verhalten belohnt wird. Märkte können nur Mittel zum Erreichen höchstmöglicher Effizienz sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Politikversagen kann durch Märkte nicht korrigiert werden.

Das gilt auch in Bezug auf die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. Grüne Marktwirtschaft ist immer auch soziale Marktwirtschaft. Sie geht von dem Grundsatz aus, dass wirtschaftlicher Fortschritt allen zugute kommen muss und nicht nur einigen wenigen. Deshalb gehört zum Kern grüner Marktwirtschaft neben Zugangschancen zu Arbeit, Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe auch die gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands -- und zwar für beide Geschlechter. Märkte produzieren sich selbst überlassen keine sozial gerechten Ergebnisse, weil sie neben Wohlstand auch Armut und soziale Ausgrenzung hervorbringen. Der Staat muss hier für einen Rahmen sorgen, der die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich überwindet und soziale Gerechtigkeit im Sinne der verschiedenen Aspekte eines modernen Gerechtigkeitsbegriffs schafft.

Mehr zum Konzept "Grüne Marktwirtschaft" finden Sie unter
http://www.gruene-bundestag.de/cms/publikationen/dokbin/189/189583.gruene_marktwirtschaft.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Ilka Wege